1999: Beijing Punk erscheint auf der Titelseite der Newsweek
VERÖFFENTLICHT: 9. MAI 2022
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Hang On The Box bei einem Auftritt, Peking 1999. (Foto: James Bollon)
1999, sechs Monate nach ihrem ersten Auftritt, überraschte die chinesische Punkband Hang On The Box, die ausschließlich aus Frauen bestand, Musikfans in aller Welt, als sie auf der Titelseite der lokalen Ausgabe der US-Zeitschrift Newsweek erschien. Dies war ein entscheidender Moment in ihrem Heimatland – und speziell in Peking. Er rückte eine pulsierende Szene ins Rampenlicht, die in den westlichen Medien bisher kaum Erwähnung gefunden hatte.
Der Rock 'n' Roll beeinflusste Mitte der 80er-Jahre China, als sich das Land unter der Regierung von Deng Xiaoping für internationale Einflüsse öffnete. Noch zu Beginn dieses neuen Jahrzehnts befand sich das Land in einer existenziellen Krise, als der Cantopop den Rundfunk dominierte. Zwischen den Entenbratereien und Hutong-Gassen der Hauptstadt brachte sich jedoch eine neue Generation mit Hilfe von raubkopierten CDs und Kassetten aus Hongkong schnell die Grundlagen des Rock 'n' Roll bei.
Karaoke-Lokale und Bars wie der legendäre Scream Club boten jungen Künstlern schon bald einen Platz für ihre Auftritte (aus letzterem entwickelte sich sogar ein Plattenlabel). Schon bald, so berichtete The Guardian 1999, machte eine kleine Armee aus „schmuddeligen Großstadtstreunern“ mit „stacheligem rotem Haar und Bondage-Hosen“ mit ihren gebrauchten E-Gitarren eine Menge Lärm.
In den 90ern entstand der Punk in Peking aus dem Untergrund heraus, wobei Lokale wie der Scream Club ein Epizentrum der Szene bildeten.
Gia Wang im legendären Scream Club. (Foto: James Bollon)
Die Musikszene in Peking war hauptsächlich von Männern dominiert, wobei Bands wie die Anarchy Boys den Sound des westlichen Punks der vorherigen Generation aufgriffen. Mit Marshall-Verstärkern bewaffnet, lieferten sie wilde Gigs und verkauften Demobänder mit der Aufschrift "Chinese Oi! Oi! Oi! No RACIST". Doch der Scream Club, ein kurzlebiges Zentrum des Punk in der Stadt, bot auch reinen Frauenbands wie Cobra und Hang On The Box eine Bühne.
Inmitten einer von Männern dominierten Szene schaffte es eine reine Frauenband auf die Titelseite einer großen US-Zeitschrift. Das war ein einschneidender Moment.
Hang On The Box bei einem Auftritt im Scream Club, 1998. (Foto: James Bollon)
Ihr Bild auf dem Titelblatt von Newsweek war für die Teenager-Gruppe, die zuvor in der lokalen Szene belächelt worden war, ein einschneidendes Ereignis. Auch wenn China selbst die Band nicht voll und ganz akzeptierte (trotz ihres Kultstatus hatten sie Schwierigkeiten, in ihrer Heimat Auftritte zu finden), trugen sie doch dazu bei, die Einstellung gegenüber weiblichen Rockern im Land zu beeinflussen. Als sie 2007 das Album „No More Nice Girls“ veröffentlichten, nahmen immer mehr chinesische Bands Frauen in ihr Line-up auf, und Riot-Grrrl-Bands wie Xiao Wang gehören heute zu den angesagten Namen der Szene.
Gia Wang, Sängerin in Hang On The Box. (Foto: James Bollon)
Hang On The Box öffnete auch anderen chinesischen Künstlern im Ausland die Türen und weckte damit das Interesse an der lokalen Musikszene. Zusammen mit ihren ehemaligen Scream Club-Kollegen Brain Failure waren sie eine der ersten chinesischen Bands, die auf dem SXSW Music Festival in den USA auftraten. Dies ermöglichte eine seltene gegenseitige Befruchtung zweier ansonsten unterschiedlicher Musikkulturen. In der Folge brachten Veranstaltungen wie das Beijing Pop Festival Punk-Urväter wie die New York Dolls und Marky Ramone (The Ramones) nach China, wo sie neben angesagten lokalen Talenten auftraten. Diese lebendige musikalische Verflechtung zwischen Ost und West hält bis zum heutigen Tag an.
Der Scream Club war ein Ort, an dem junge Künstler auftreten konnten. (Foto: James Bollon)